Belletristische Erinnerung

Sommergewitter und "Amediesli"

Herbert Klein lebte ein ausgesprochen wohl geordnetes Leben. Er lebte nach der Uhr und das bereits seit seiner Konfirmation. Er war 16 Jahre alt, als er von seinen Eltern diese Uhr erhielt, die fortan sein Leben bestimmte. Das war ihm wichtig. Pünktlich stand er jeden Morgen um die gleiche Zeit auf, kam um die gleiche Zeit in sein Büro, ass um die gleiche Zeit zu Mittag und ging um die gleiche Zeit schlafen. Herbert Klein lebte auf standby. Auf diese Weise war es ihm möglich, sich im Gestrüpp des eigenen Lebens zurechtzufinden.

Auch an diesem Donnerstag im August verliess Herbert Klein sein Büro pünktlich um 17.30 Uhr. Der Pförtner in der Empfangshalle sagte: "Pünktlich wie immer, Herr Klein".
"Stimmt genau", sagte Klein, "Auf Wiedersehen".
Herbert Klein freute sich schon auf die Heimfahrt mit dem Bus der Linie 60 und den Busfahrer Willy Otembra, mit dem er jeden Abend kurz über das Wetter philosophierte. Drei Minuten musste er jeweils auf den Bus warten.

An diesem Abend war der Himmel schwarz bedeckt, ein starker Wind fegte Herbert Klein durch das kurze, braune Haar und schon begann ein heftiger Platzregen auf die Stadt niederzuprasseln. Zuerst tüpfelten die Regentrofen seinen grauen Anzug, bald war er ziemlich nass. Umständlich versuchte Herbert den Regenschirm aus seiner Tasche zu ziehen, als er plötzlich heftig gestossen wurde und für Bruchteile einer Sekunde das Gleichgewicht verlor. Herbert Klein erschrack, das gehörte nicht zu seinem Tagesablauf, fast war er ein wenig verärgert. Er war es nicht gewohnt, laut zu schimpfen, so sah er erschrocken auf und spürte sofort einen flatternden Schmetterling in sich. ...